Die Sehnsucht nach Gemeinschaft

Bild von pxby666 auf pixabay

Es gibt diese Sehnsucht, die wahrscheinlich nicht nur mir zu eigen ist, denn ich sehe, wie sie in verdrehter Form in der Pop-Kultur verwurstet wird. Ich meine die Sehnsucht nach einem Menschen, mit dem man Intimität teilen kann und mit dem man sich so verbunden fühlt, dass man sein Leben mit ihm teilt.

In unserer Kultur assoziiert man diese Sehnsucht mit einer Liebes-Zweier-Beziehung. Viele Songs und Filme haben sie zum Thema. Es wird erzählt, dass es einer Art Erlösung gleichkommt, wenn man diesen einen Menschen endlich gefunden hat. Meistens eiern zwei Leute noch blöd in der Gegend herum, bevor es bei ihnen dann mal klappt, aber wenn sie sich gefunden haben, dann ist die Geschichte vorbei, den Höhepunkt hat man hinter sich.

Was danach kommt, nämlich, dass der Alltag dann einfach weitergeht, das wird nicht erzählt. Wie soll einen dieser eine Mensch auch davon erlösen? Die völlig unromantische Wahrheit ist doch, dass dann beide den ganzen Tag arbeiten gehen, sich abends auf der Couch treffen und im besten Fall noch von ihrem Tag erzählen.

Mir ist der Verdacht gekommen, dass sich diese Sehnsucht im Eigentlichen nicht auf die Zweier-Liebesbeziehung richtet, sondern dass wir nur gelernt haben, diese Sehnsucht ausschließlich auf diese zu projizieren. Mein Verdacht ist, dass es sich eigentlich um die Sehnsucht handelt in einer verlässlichen Gemeinschaft von Menschen eingebunden zu sein.

Zumindest bei mir hat die Sehnsucht nicht mit einer Liebesbeziehung ein Ende gefunden, sondern bei mir fand sie in den Momenten Ruhe, als ich mit meinem Lebensgefährten in einem Freundeskreis aufgehoben war, der verlässlich und innig war.

Ich habe mich schon seit meiner Pubertät nach Gemeinschaft gesehnt und es geht vielen Menschen ebenso. In den letzten Jahren habe ich aber auch festgestellt, dass es sehr schwierig ist, tatsächlich Gemeinschaften aufzubauen.

Zu sehr haben wir gelernt, dass man alleine meist mit geringerem Widerstand durchs Leben kommt. Diese Unkompliziertheit nennen wir Freiheit. Und zu bitter hängt uns die Erinnerung nach, als wir auf Gedeih und Verderb an unsere Herkunftsfamilie gebunden waren, was uns vielleicht gar nicht gutgetan hat. In eine solche Situation wollen wir nicht noch einmal geraten. Deshalb ist Unabhängigkeit von anderen Menschen für viele das A und O. Zu groß scheint die Gefahr, dass man in irgendetwas Unschönes verwickelt wird, wenn man sich an jemanden bindet. Außerdem ist alles so kompliziert, dauernd muss man sich abstimmen und anderer Leuts´ Bedürfnisse berücksichtigen.

So ganz ohne Verbundenheit wollen die meisten dann aber auch nicht und dann muss die Liebesbeziehung all das leisten, was einmal von einer ganzen Gemeinschaft gekommen ist. Denn wir haben unleugbar den größten Teil der Menschheitsgeschichte in Gemeinschaften gelebt, in denen sich die Individuen vertrauten, weil sie sich kannten, weil sie miteinander verwandt waren und das Zusammenleben jeden Tag gemeinsam gestalteten. Gemeinschaft war Sicherheit und Geborgenheit, sie hat die Möglichkeit geboten, Dinge zu erreichen, die man alleine nie hätte erreichen können und sie hat das Überleben gesichert. Mal davon abgesehen, dass es auch einfach anregend, inspirierend und schön sein kann, Dinge zu teilen und gemeinsam zu erleben.

Warum soll das emotionale Bedürfnis nach dieser Gemeinschaft so schnell verschwinden, wenn Menschen die meiste Zeit auf diese Weise gelebt haben?

Mir wurde dieses Bedürfnis aber von verschiedenster Seite versucht auszureden. Unter anderem von meinem Therapeuten. Er unterstellte mir, dass ich einen Familienersatz suchen würde, weil ich in meiner Kindheit der Erfahrung der intakten Familie nicht gehabt hätte. Als wäre das ein rein kindliches Bedürfnis, in einer Familie zu leben.

Auch wurden mir Muster der Abhängigkeit unterstellt. Ich würde mich von konkreten Menschen abhängig machen, ich sollte vielmehr lernen, meine emotionalen Bedürfnisse selbst zu befriedigen und meine Pläne so zu gestalten, dass sie auch ohne andere Menschen umsetzbar wären.

Zudem glaubte ich selbst lange, dass ich ein Problem mit instabilen Beziehungen hätte, weil ich eine Verlustangst aus der Kindheit mit mir herumtragen würde. Eigentlich sollte es für mich ok sein, wenn Freundschaften ständig auseinanderfallen und langfristige Bindungen einfach nicht zustande kommen. Ich sollte doch einfach einmalige Kontakte mit Menschen genießen und nicht traurig darüber sein, dass sie danach wieder aus meinem Leben verschwinden würden. Zudem sollte ich darauf vertrauen, dass immer wieder neue Menschen in mein Leben kommen würden und sozusagen der Strom an neuen Menschen eine Art Kontinuität der sozialen Beziehung herstellen würde, was die Kontinuität innerhalb konkreter Beziehungen ersetzen könnte.

Dieser Glauben und die Interventionen meines Therapeuten haben bei mir zu einer vollkommenen Hoffnungslosigkeit geführt, dass Menschen irgendeinen bedeutenden Platz in meinem Leben einnehmen könnten. Meine Motivation, mit Menschen in Kontakt zu treten, ist in sich zusammen gefallen. Warum soll ich mir die Mühe geben, diesen Menschen kennenzulernen und eine Bindung zu ihm aufzubauen, wenn ich überhaupt nicht weiß, ob ich ihn je wieder sehen werde? Warum sollte ich Vertrauen aufbauen, wenn wir niemals so viel Leben miteinander teilen werden, dass dieses Vertrauen wirklich notwendig wäre?

Ich war zuvor ein sozialer Mensch, der den Kontakt zu anderen gesucht hat und daran interessiert war langanhaltende, verlässliche Beziehungen aufzubauen. Im Laufe der Therapie habe ich mich immer mehr isoliert und mich in ein einsames Leben begeben, in dem nur zählt, was ich selbst auf die Beine stellen kann. Andere Menschen sind mehr eine Dekoration in meinem Leben geworden, aber weil mich diese Form von Beziehung nicht wirklich interessiert, weil sie keine Tiefe hat, ist mein Interesse an Menschen immer mehr zurückgegangen.

Ich fühle mich sozial verkrüppelt. Und ich weiß, dass ich nicht immer so gewesen bin. Es ist im Zeitraum meiner Therapie schlimmer geworden.

Unabhängigkeit ist in unserer Gesellschaft eine Illusion. Ich kann gar nichts alleine. Ich bin nicht in der Lage meine Kleidung herzustellen, meine Lebensmittel zu besorgen, mir ein Haus zu bauen und schon gar nicht hätte ich den Laptop herstellen können, an dem ich diesen Text schreibe. Wenn ich die Techniken einer Jägerin und Sammlerin in einer intakten Natur beherrschen würde, dann wäre ich alleine vielleicht fähig durchzukommen. Aus gutem Grund aber lebten die Menschen den größten Teil der Menschheitsgeschichte zusammen in Gemeinschaften. Auch in unserer Welt kommt man nicht alleine durch. Statt abhängig von konkreten Menschen zu sein, die ich kenne und denen ich vertraue, bin ich heute von einem globalen Netz aus Menschen, Institutionen, Strukturen abhängig, die ich nicht kenne und denen ich auch nicht vertraue. Das ist keine Unabhängigkeit.

Mir persönlich ist es lieber, die Menschen zu kennen, von denen mein Leben abhängt.

Abhängigkeit ist nicht automatisch pathologisch. Zu glauben, man sei heute unabhängig von jedem anderen Menschen und das für das allerhöchste Ziel zu halten, das halte ich für pathologisch. Man blendet komplett aus, dass man ohne andere Menschen hungrig, frierend und alleine unter einem Baum hocken würde. Das ist doch Verdrängung auf allerhöchstem Niveau.

Vielmehr noch zwingen uns diese Strukturen, die uns angeblich so unabhängig machen, zu einer ganz bestimmten Lebensweise, die wir alleine nicht ändern können. Diejenigen, mit denen wir eine Alternative schaffen könnten, das wären konkrete Menschen, die wir kennen und denen wir vertrauen. Aber gerade an die sollen wir uns nicht binden, von denen sollen wir unabhängig sein.

Das ist nichts anderes als eine Herrschaftstechnik. Divide et impera. Sollen die Leute glauben, sie seien frei, wenn sie nichts miteinander verbindet. Sollen sie glauben, sie kämen ganz alleine durchs Leben. Je mehr sie das glauben, desto mehr werden sie die Strukturen brauchen und je mehr sie die brauchen, desto eher kann man von ihnen verlangen, was man will.

Sie für ein paar Euro arbeiten lassen, während man ihnen das Einkommen für Wohnung und Nahrung wieder aus der Tasche zieht? Sie Autos kaufen lassen, damit sie zur Arbeit kommen, während das Klima darunter leidet? Sie 40 Stunden arbeiten lassen, während ach so unzivilisierte Menschen mit 3 Stunden Mühe am Tag, sie nennen es nicht einmal Arbeit, ihren Lebensunterhalt sichern können? Kann man alles von den Menschen verlangen, solange sie sich nicht zusammen tun.

Warum also nicht mein Wunsch nach stabilen Beziehungen und einer Gemeinschaft, die fähig ist, Alternativen zu etablieren, als irgendwie unreifen Wunsch deklarieren? Warum meine Fähigkeit zu Treue und mein Durchhaltevermögen in Beziehungen nicht als Abhängigkeit deklarieren? Warum meine Liebesfähigkeit nicht kanalisieren auf einen beruflichen Kontext, wo das irgendwie verwertbar ist?

Ich scheiß’ da drauf.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Erstelle eine Website oder ein Blog auf WordPress.com

Nach oben ↑

Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten