Teil der Gesellschaft

Bild von Mart Production auf pexel

Toxische Beziehungen

Ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, als ich Teil einer sozialen Konstellation war, von der ich kein Teil sein wollte.

Ein beengtes Gefühl, wie in einem Raum, in dem man die Luft nicht atmen will. Der ganze Körper sträubt sich, nur ein einziges Molekül dieser Luft durch die Atmung in sich aufzunehmen. Er hat keine Lust darauf, dass durch seine Blutbahnen etwas wandert, was zuvor in diesem Raum gewesen ist.

Atemlos und bewegungslos erstarre ich, weil ich nur in Konflikt geraten kann, sobald ich mich bewege. Jeder Versuch selbst Raum einzunehmen, ein Gefühl auszudrücken oder gar die Situation zu gestalten wird in einem hässlichen Streit enden, der nirgendwohin führt, mir aber Verletzung und Enttäuschung bescheren wird.

Da es meine Gefühle sind, die mich darauf hinweisen, dass etwas nicht in Ordnung ist und es diese Feststellung ist, die mir den Konflikt bescheren wird, versuche ich sie zu dämpfen. Ach, da stehe ich doch drüber. Komm, so schlimm ist das gar nicht. Die Folge von unterdrückten Gefühlen sind immer Störungen im Gefühl der eigenen Integrität und Wahrhaftigkeit. Das zieht Orientierungslosigkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Energielosigkeit nach sich.

Wenn ich will, dass der Konflikt nicht eskaliert, muss ich mich selbst zurücknehmen und vollkommenes Verständnis für mein Gegenüber aufbringen. Ich muss ihm*ihr Fragen stellen, ihm*ihr zuhören, herausfinden, was los ist. Nur wenn mein Gegenüber sich entspannt und verstanden fühlt, habe ich die Chance vorsichtig auch meine Position zu benennen. Auf jeden Fall hat mein Gegenüber keine Kapazität, meine Gefühle und Bedürfnisse von sich aus zu berücksichtigen.

Ich kann alternativ auch klar benennen, was für mich nicht passt und mein Gegenüber wird sich als völlig unwillig und unfähig erweisen, darauf irgendwie einzugehen. Dann kann ich feststellen, dass dies eigentlich eine Grundvoraussetzung für eine Beziehung ist und erkennen, dass ein Ende dieser Konstellation das beste für alle Beteiligten ist.

Außerhalb der toxischen Beziehung hört das Problem nicht auf

Früher waren die sozialen Konstellationen, die so toxisch waren, kleine, überschaubare Einheiten. In meiner Kindheit war es meine Familie, in der meine Eltern mit ihrem Streit alles vergifteten, dann war es mal eine unausgewogene Freundschaft oder eine WG, in der ich nicht mit einer Mitbewohnerin auskam. Das waren Konstellationen, die so klein waren, dass ich hoffen konnte, dass außerhalb dieser Beziehung, im Rest der Welt, ein ganz anderes Klima herrschen würde. Es war möglich, diese Beziehungen zu verlassen und damit aus diesem toxischen, engen Raum hinauszugehen.

Nur stellte ich irgendwann fest, dass all diese kleinen Beziehungen Teil einer viel größeren Konstellation sind, einem Beziehungsgeflecht, dass uns alle miteinander verbindet. Aber nicht auf diese gute Art und Weise, so wie: Alles ist eins. Sondern wie durch Fesseln miteinander verbunden. Brennende, schneidende Fesseln. Das war meine Bekanntschaft mit der Gesellschaft.

Ich musste erkennen, dass die Giftigkeit in den einzelnen Beziehungen kein reines Versagen einzelner Personen war, auch nicht mein eigenes. Es sind diese Fesseln, die auch den Anderen ins Fleisch schneiden und ihre eigenen Verletzungen und ihre eigene Vergiftung, die sie unfähig machen, eine gesunde Beziehung zu führen.

Die Erkenntnis, dass ich toxische Beziehungen verlassen kann, wollte ich auch auf dieses größere Beziehungsgeflecht anwenden. Es müsste doch einen Weg hier raus geben, es müsste doch etwas anderes als das geben.

Aber es gibt keinen Weg hier raus. Ich fühle mich gefangen in etwas Ungesundem. Ich will hier raus, aber egal in welche Richtung ich mich wende, überall ist diese Gesellschaft mit ihrer hässlichen Kultur und ihrer disharmonischen Ordnung.

Sie hält mich gepackt an meinen Grundbedürfnissen, die ich nur nach ihren Regeln befriedigen kann. Immer wenn ich versuche eine Alternative zu etablieren, stellt sie dazu auch wieder Regeln auf.

Die Kultur der Gewalt

Diese Gesellschaft hat ein komplett künstliches Lebensumfeld erschaffen, mit eigenen Gesetzen, die das Leben ordnen. An allen Ecken hat sie versucht, die alte Ordnung der Natur zu zerstören und unter ihre Herrschaft zu bekommen. Ihr Grundprinzip ist Gewalt gegen die Natur. Diese Aggression vergiftet jede ihrer sogenannten Errungenschaften. Es sind Eroberungen und neue Methoden der Unterdrückung. Jede weitere technische Erfindung ist ein Versuch, etwas aus der Natur zu nehmen, ohne zu fragen. Und jede Sozialtechnik ist ein Versuch, die Natur im Menschen unter Kontrolle zu bekommen, etwas von ihrer Lebendigkeit zu rauben, ohne darum zu bitten. Diese Gesellschaft ist von einer Kultur des Nehmens durchdrungen, von einem wilden Hunger nach Macht. Sie ist ein Widerstand gegen den Rest des Universums. Jeden Tag erfindet sie neue Wege, in Streit zu geraten, zu verwüsten und ihr hässliches Gift noch tiefer in die Menschen einsickern zu lassen.

Ich glaube nicht daran, dass der Mensch an sich schlecht ist. Es ist diese Kultur, die das Schlechteste in Menschen fördert. Weil es die gewalttätigsten, egozentrischsten und aggressivsten unter uns sind, die die Ordnung, nach der wir leben, bestimmen, haben sie eine Ordnung erschaffen, die ihnen entspricht. Wer ihre Eigenschaften und Verhaltensweisen teilt, der kommt nach ihren Regeln vorwärts. Dadurch verstärkt sich diese Ordnung immer mehr.

Warum sie überhaupt je die Herrschaft übernehmen konnten, liegt darin begründet, dass der Rest der Menschheit eher friedlich ist. Ihre Bereitschaft, Gewalt anzuwenden und zu unterdrücken, hat den Rest überrumpelt. Was hilft gegen Gewalt, wenn man nicht selbst gewalttätig werden möchte? Wie kann man sich wehren, wenn man sich nicht in das verwandeln will, was da über einen kommt?

Friedlicher Widerstand

Seit Jahrtausenden suchen Menschen nach Wegen für den friedlichen Widerstand. Sie hoffen, dass Bildung hilft, dass Liebe und Verständnis helfen, dass eine Kultivierung innerer Friedlichkeit uns äußeren Frieden bringt, dass Aufklärung oder die Etablierung von alternativer Kultur und Lebensformen uns einen Ausgang eröffnen.

Momentan sind wir an einem Punkt gekommen, an dem die Menschen wütend werden. Das Gefühl, dass etwas falsch ist und so nicht weiter laufen sollte, wird immer präsenter. Aber das Gift dieser Gesellschaft wallt durch sie hindurch und sie bekommen die Idee, dass gegen die Gewalt nur noch mehr Gewalt helfen wird. Die Ablösung der einen Herrschaft durch eine andere, der einen Gewalt durch eine andere, ist nur die Neugeburt der Kultur der Gewalt und Unterdrückung.

Viele Menschen versuchen auch mit aller Kraft dafür, selbst eine andere Kultur und Gesellschaft zu etablieren. Sie engagieren sich sozial und politisch und haben die Hoffnung, mit ihrem Tun eine Transformation zu bewirken.

Die Schwierigkeit Alternativen zu etablieren

So ehrenwert ich das finde, dieser Ansatz ist kräftezehrend. Die Strukturen und Regeln dieser Gesellschaft selbst sind es, die das Gift der Kultur der Gewalt reproduzieren. Innerhalb dieser Strukturen und Regeln etwas hervorzubringen, das nicht vergiftet ist, ist eine Riesenaufgabe. Zumal der stärkste Hebel dieser Kultur der ökonomische Zwang ist.

Das heißt für Menschen, die etwas verändern wollen, dass sie neben dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes nach den Regeln der Gesellschaft an Alternativen arbeiten müssen. Dass man seinen Lebensunterhalt so verdienen kann, dass es eine echte Alternative zu der von der Gesellschaft vorgesehenen Möglichkeit darstellt, halte ich unter ganz wenigen Umständen für möglich, nämlich dann, wenn man sich von Marktmechanismen über solidarische Lösungen befreien kann. Dem Kapitalismus ist es egal, mit welchem Produkt oder welcher Dienstleistung jemand am Markt teilnimmt. Da kann sich jemand noch das sozialste und grünste Produkt ausdenken, der Kapitalismus wird sich das einverleiben und ungewollt trägt sie*er dazu bei, die Gesellschaft zu stabilisieren.

Einfaches Beispiel sind soziale Berufe. Ich bin überzeugt davon, dass die meisten Menschen aus Idealismus einen sozialen Beruf ergreifen. Deshalb ist ihnen ein hoher Verdienst auch nicht so wichtig. Erster Punkt, an dem man das System stabilisiert. Aber was macht man inhaltlich? In vielen Fällen arbeitet man dafür, dass Menschen, die noch nicht in die Gesellschaft integriert sind oder die bisher Schwierigkeiten damit hatten, doch zu integrieren. Guck mal, so findest du einen Job. Jetzt arbeiten wir mal daran, dass du dein Drogenproblem los wirst. Oder deine Depression. Damit du hier mitmachen kannst, anstatt dem* der Steuerzahler*in auf der Tasche zu liegen.

Platz in der Gesellschaft

Seit 2015 suche ich nach einem Platz in der Gesellschaft, der zu mir passt, an dem ich mich nicht so fühle, als müsste ich mich selbst verraten, meine Gefühle unterdrücken und meine ethischen Vorstellungen verletzen. Ich habe wirklich versucht, irgendwie ein Teil hiervon zu werden und meine Energie zu nutzen, um die Gesellschaft besser zu machen.

Aber die Flucht von einer toxischen Situation in die nächste, und die ständige Suche nach dem endgültigen Ausweg aus dieser Flucht, erschöpfen mich. Am meisten zehrt es Kraft, dass ich nach einem Platz in der Gesellschaft suchen muss, der mich nicht umbringt. Weil ich hier nicht raus kann, bin ich gezwungen nach etwas zu suchen, das überhaupt etwas mit mir zu tun hat.

Aber welcher Platz bleibt für jemanden, der hier eigentlich nicht sein will und der hier eigentlich nicht mitmachen will? Es bleiben nur die Randgebiete der Übriggebliebenen, Überflüssigen, Störenden. Ich kann mich in den Block der Kranken einreihen, in den der Armen, der Kriminellen oder in den Block der politisch Überhörten, Unerwünschten und Unterdrückten.

Ich bin erschöpft davon, in diesen Randgebieten zu leben und gleichzeitig sowohl meinen weiteren ökonomischen und sozialen Abstieg zu verhindern, als auch darum zu kämpfen, wahrhaftig und integer zu bleiben. In meinem Leben sind das zwei Sachen, die sich widersprechen und so funktioniert weder das eine noch das andere. Ich suche nach einem gesellschaftlichen Platz, der ein Überleben sichert, aber ich will gar kein Teil dieser Gesellschaft sein. Das kann nicht funktionieren.

Und deshalb bin ich erschöpft und depressiv.

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