Arbeit und Autonomie

Bild von Tara Winstead auf pexels

Ich kann nicht für mich selbst sorgen.

Jedenfalls nicht als ich und nicht autonom.

Ich kann natürlich irgendeinen Job annehmen. Dann quäle ich mich mit zu wenig Geld für zu viel Arbeit durch eine 40 Stunde Woche, damit wenigstens etwas übrig bleibt vom Geld. In meiner Freizeit regeneriere ich mich für die Arbeit, die nur Energie zieht und mir nichts gibt. Nach ein paar Monaten ist von mir nichts mehr übrig, meine unterdrückten Gefühle schnüren mir die Luft ab. Es fühlt sich mehr danach an, als würde ich jeden Tag an meiner Selbstzerstörung arbeiten, als an irgendetwas anderem.

Dann suche dir doch einen Job, der dir Spaß macht!

Seit Jahren versuche ich genau das. Ich suche nach etwas, das mich nicht in die Verzweiflung treibt, weil es sich so anfühlt, als hätte das überhaupt nicht mit mir zu tun, womit ich meinen Tag verbringe.

Weil ich aber nun mal in der Zwischenzeit dennoch für die Erfüllung jeder meiner Grundbedürfnisse bezahlen muss, muss ich am Ende auch einfach den Job nehmen, den ich bekommen kann. Das hängt davon ab, ob man mich für qualifiziert hält oder mit wie vielen Menschen ich um diese Stelle konkurriere. Es hängt davon ab, ob ich die Stelle von meinem Wohnort erreichen kann oder ob die Fahrtzeit zu einem weiteren Teilzeitjob mutiert und die Fahrtkosten ein Drittel meines Gehaltes in CO₂ verwandeln. Für alles braucht es eine Ausbildung, gerne auch mehrere Fortbildungen und am liebsten noch jahrelang Berufserfahrung.

Wer aus Interesse studiert hat, wie ich, und nicht von Anfang an seine Karriere durchgeplant hat, der*die findet sich eventuell mit Anfang dreißig in der Situation, dass er*sie für das, was er*sie gerne machen möchte, nicht die passenden Zertifikate eingesammelt hat, die unbezahlten Praktika nicht zu einer Zeit gemacht hat, in der Familienplanung noch Zukunftsmusik war und in dem Bereich eben keine Erfahrungen sammeln konnte, weil sie bisher beruflich etwas anderes getan hat.

Es ist unbezahlte Arbeit, eine passende, bezahlte Arbeit zu finden.

Im Leben kann man immer wieder neu anfangen und beruflich umorientieren.

Ja, das kann man, wenn man die Zeit und das Geld hat, zwischendurch die entsprechenden Zertifikate zu erwerben, die Kontakte zu knüpfen und seine Lebenssituation immer wieder neu zu organisieren. Bei mir ist es so gewesen: Wenn ich das Geld für eine Fortbildung hatte, dann hatte ich keine Zeit und keine Energie. Wenn ich Zeit hatte, dann hatte ich kein Geld.

Immer wieder versuchte ich in verschiedenen Teilzeitmodellen zu arbeiten und mit möglichst wenig Geld auszukommen und malte mir aus, wie ich nebenbei daran arbeiten würde, mich mehr in die Richtung zu bewegen, die mich anzieht. In der Realität ist es so gewesen, dass der Job für den Lebensunterhalt mich so frustriert und deprimiert hat, dass ich nebenbei eher mit psychischem Überleben beschäftigt war, als daran zu arbeiten, für mich eine passendere Form des Lebensunterhaltes zu finden.

Zudem ist die Arbeit daran, einen passenden Job zu finden, nicht dasselbe wie die Tätigkeit, die ich gerne ausüben möchte. Weder Geld zusammenkratzen für eine Fortbildung, noch sich zeitlich und finanziell durch die Fortbildung durchfasten, noch Bewerbungen schreiben, noch Finanzplanung, Buchhaltung oder das Klären von juristischen Grundlagen, noch Marketing, noch Kundenakquise oder Steuererklärung ist das, was ich tun möchte. Wer aber in dieser Gesellschaft wenigstens die Chance haben will, einmal mit etwas seinen Lebensunterhalt zu sichern, was sie nicht umbringt, muss all das auf sich nehmen. Insgesamt ist man mehr mit der Ermöglichung der Tätigkeit beschäftigt, als mit dem Tun selbst.

Am Ende ist alles Geschäft

Schließlich ist auch alles Können und jede Leidenschaft für eine Sache vollkommen egal, wenn es keinen Menschen gibt, der dafür bezahlen will. Oder wenn man nicht gut darin ist, die Menschen zu erreichen, die dafür bezahlen würden. Oder wenn das, was sie bezahlen, nicht reicht, um davon zu leben. In erster Linie sind wir Geschäftsleute. Wer beherrscht, wie man Geschäfte macht, der*die kann das dann mit fast beliebigen Inhalten füllen. Wem das nicht liegt, der*die wird noch mit der besten Idee, großem Können und besten Absichten für die Welt nicht weit kommen.

In der Realität sind die Leute erfolgreich, denen es um Erfolg geht und es verdienen die viel Geld, denen es um viel Geld geht. Der ethisch korrekte und sozial engagierte Entrepreneur, der nicht nur ein guter Mensch ist, sondern auch erfolgreich, ist ein moderner Mythos. Wem es um etwas anderes als geschäftlichen Erfolg geht, der*die wird dem Geschäft einfach weniger Aufmerksamkeit widmen und andere Prioritäten setzen. Und es glaubt doch wohl keiner, dass sich das geschäftliche dann von ganz alleine regelt?

Ich bin keine Geschäftsfrau. Ich bin auch keine PR-Managerin, keine Streuberaterin und keine Juristin für Arbeitsrecht. Ich will das auch nicht sein und ich verabscheue es, dass dies letztlich der Mechanismus ist, der darüber entscheiden soll, dass ich mit etwas meinen Lebensunterhalt sichern kann, dass mich nicht psychisch umbringt.

Für mich hat das nichts mit Autonomie und Freiheit zu tun. Um nur annähernd mit etwas meinen Lebensunterhalt zu verdienen, was ich auch tun will, muss ich all die Dinge tun, die ich nicht tun will, muss zunächst Geld auftreiben, mit etwas, das ich auch nicht tun will. Nebenbei muss ich dann die Zeit für das finden, was ich eigentlich machen will, was zu einem so hohen Arbeitspensum führt, dass ich das mit meinem Hang zum Burnout auch lieber lassen sollte.

Arbeit ist nicht tätig sein

Wir kennen das alles nicht anders und viele Menschen können sich gar nichts anderes vorstellen. Sie glauben, Arbeit gehört zum Leben dazu. Das ist schlichtweg falsch. Etwas tun für seinen Lebensunterhalt muss jedes Lebewesen, aber arbeiten, als dieses nicht autonome und nicht selbstbestimmte Tätigsein, müssen wir erst, seitdem wir unseren Lebensunterhalt nicht mehr direkt von der Natur beziehen, sondern durch gesellschaftliche Strukturen vermittelt haben. Genauer gesagt, seitdem sich Menschen zwischen Tätigkeit und Ergebnis dieser Tätigkeit geschaltet haben, um von der Arbeit anderer zu profitieren.

Der Kreislauf der Depression

In meinem Leben hat sich das alles zu einem Kreislauf der Depression geformt. Aus finanzieller Not heraus und aus dem Frust, so arm zu sein, dass Kaffee trinken gehen zu einem Event wird wie für andere das Weihnachtsessen im guten Restaurant, nehme ich die Tätigkeit auf, die ich eben finden konnte. Ich rede mir gut zu, dass ich damit auch eine Fortbildung finanzieren kann oder was mir sonst noch helfen könnte, mir meinen Weg zu bahnen. Ich mache mir auch jedes Mal Hoffnungen, dass ich es vielleicht gar nicht so schlecht getroffen hätte und vielleicht doch einer Tätigkeit näher gekommen bin, die mir entspricht.

Am Anfang muss ich mich noch eingewöhnen, mir Routinen erarbeiten. Ziemlich bald merke ich, dass außerhalb dieser Routinen auch nichts passieren wird. Falls es doch Abwechslung gibt, entsteht die gerne durch schlecht organisierte Arbeitsabläufe, eine zu hohe Arbeitsauslastung, seltsame Anwandlungen von Menschen oder Notfälle. Mit einem Mal explodiert die Frage in meinem Geist: Das sollst du jetzt jahrelang tun?

Danach geht es emotional bergab. Abends kann ich mich nicht entspannen, weil ich den nächsten Tag auf mich zukommen sehe. Morgens zwinge ich mich aus dem Bett. Den ganzen Tag über deckel ich meine Gefühle, gucke immer wieder auf die Uhr und mache mir Vorwürfe, weil ich so unglücklich bin. Von dem Kampf völlig erschöpft, bleibt keine Energie mehr, um mir Gedanken über eine Alternative zu machen.

Das halte ich dann so lange aus, bis ich gar nicht mehr kann, bis die Erschöpfung und der Schmerz so tief in meinen Körper eingesunken ist, dass Schlafen zur Erholung lange nicht mehr reicht. Wenn dann die Suizidgedanken kommen und ich dann noch ein Weilchen ausgehalten habe, dann ziehe ich die Reißleine.

Dann bin ich wieder in der Armut und der Depression angekommen. Wochen und monatelang versuche ich das Trauma des Selbstverrats und der unterdrückten Gefühle, der dissoziativen Momente und der Freudlosigkeit, die sich in meine Hirnsynapsen eingebrannt hat, zu kurieren. Ich versuche die Erschöpfung zu heilen und das Gefühl des Scheiterns in den Griff zu kommen. Für meine Angst suche ich Beruhigung und für meine Anspannung Linderung. Ich kämpfe um mein Selbstwertgefühl und hoffe, dass ich irgendwann wieder etwas anderes spüren kann als Schmerz, sodass ich mich auch wieder daran erinnern kann, was ich denn wirklich will für mein Leben.

Suche nach einem Ausweg

Orientierungslos suche ich nach einer Perspektive und versuche den Plan zu entwickeln, der mich beim nächsten Versuch davor bewahrt, den Kreislauf ein weiteres Mal zu durchlaufen. DER Plan. Gehetzt denke ich über andere Arbeitsbereiche nach, Fortbildungen, Selbständigkeit, Auswandern, von Wurzeln im Wald leben, ins Kloster gehen.

Der Druck irgendeinen Ausweg aus dem Kreislauf des Horrors zu finden, begleitet mich jede Sekunde, ob wachend oder schlafend. Die Angst davor, wieder in einer völlig entfremdenden Situation zu sein und mich selbst zu verlieren, löst in mir das Engegefühl aus, das eine von einer Katze in die Ecken getriebenen Maus haben muss. Panisch suche ich nach einem Ausweg. Natürlich fällt mir nichts ein, schließlich ist das Adrenalin längst zu Cortisol geworden. In mir ist alles so verkrampft, dass ich gänzlich unbeweglich geworden bin. Das stresst mich noch mehr, weil die Zeit verstreicht und ich weiß, dass meine Schonfrist irgendwann wieder zu Ende ist. Wenn mir bis dahin nichts eingefallen ist, fängt alles wieder von vorne an.

Immer halte ich mir den Tod als die Hintertür mit Fluchtweg offen. Falls ich es wieder nicht schaffe, dann könnte ich ja auch… einfach für immer verschwinden. Das ist mittlerweile keine emotionale Reaktion mehr in Momenten des höchsten Schmerzes. Mit der Zeit ist es mehr eine rationale Option geworden, über die ich wie über andere Optionen nachdenke.

Phasen, in denen ich hoffnungslos vor mich dahinvegetiere, lösen Phasen panischer Geschäftigkeit ab und lösen Phasen echter Motivation ab. Langsam, langsam werden der Schmerz und die Panik etwas weniger, dafür taucht Wut auf und eine wilde Aggression, die alles zerstören will. Hier auf diesem Blog kann ich den Beitrag finden, an dem die Wut eingesetzt hat. Wenn ich es schaffe, sie zumindest etwas auszudrücken, dann kann daraus manchmal wenigstens etwas Mut entstehen. Falls ich es jetzt noch schaffe, mich so zu entspannen, dass auch die Angst für ein paar Augenblicke verschwindet, dann taucht für Sekunden auch mal Hoffnung auf.

Und nun?

Momentan bin ich wieder in der Armutsphase, in der ich die Depression zu beruhigen versuche. Mein Plan – DER Plan – ist es, mehr ins Schreiben zu kommen, auf dass daraus irgendwann eine berufliche Zukunft werden kann. Das ist auch ein Grund dafür, weshalb ich an diesem Blog arbeite. Warum nicht einfach über das Schreiben, was mich eh beschäftigt und dafür einsetzen, dass wir das Leben in dieser Welt für alle Menschen mehr als erträglich gestalten?

Tatsächlich könntest Du mich dabei unterstützen, aus dem ewigen Kreislauf der deprimierenden Jobs auszusteigen und der politischen Perspektive auf Depression mehr Reichweite zu verschaffen. Wie in den sozialen Medien so üblich heißt das abonnieren, kommentieren, teilen, vernetzen und beteiligen.

Abos gibt es hier über Mail, Mastodon oder den WordPress Reader. Und wenn Du selbst etwas loswerden willst, dann schreib doch einen Gastkommentar oder vernetzt Dich mit mir.

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