Die Verwirrung, die mir meine Therapie bescherte

Bild von Csaba Orban auf pixabay

Während ich sechs Jahre Therapie gemacht habe, haben sich nicht nur Dinge für mich verbessert, sondern mittlerweile muss ich feststellen, dass sich einiges auch sehr verschlechtert hat. Ob die Therapie hierfür ursächlich war, ob sie diese Entwicklung unterstützt oder ob sie nur nicht aufgehalten hat, das kann ich nicht genau sagen. Auf jeden Fall sind Veränderungen in eine Richtung eingetreten, die sicher nicht Ziel einer Therapie sein können.

In den letzten zwei Wochen fühle ich manchmal für einige Momente, wie ich mich vor der Therapie bzw. zu Anfang der Therapie erfahren habe. Und zwar nicht die Aspekte des Leides, sondern auf welche Weise ich eigentlich ganz gut aufgestellt war.

Während meines Studiums war ich auf einer bestimmten Ebene sehr selbstsicher. Ich wusste, was ich für richtig hielt, wusste, was ich mir erhoffte, wovon ich träumte, was ich anstrebte. Ich erfuhr hierbei aber mächtige Widerstände und extreme Enttäuschungen, was wohl damals auch den Schmerz in mir ausgelöst hat, der mich die Therapie aufsuchen ließ.

Wenn mir so etwas widerfährt, frage ich mich natürlich auch, ob meine Erwartungen vielleicht unangemessen waren oder ob ich sie an die richtigen Menschen gestellt habe oder in den richtigen Situationen nach ihrer Erfüllung gesucht habe.

Und in diesen Selbstzweifel drang mein Therapeut mit etwas ein, was ich als das übliche Mantra „Man darf nichts von anderen Menschen erwarten – wer etwas erwartet, wird enttäuscht – man muss unabhängig von anderen Menschen sein.“ empfand.

In mir löste das aber das Gefühl aus, überhaupt etwas zu wollen, etwas anzustreben, etwas für richtig zu halten oder eben von Menschen zu erwarten ist falsch. Denn es kann zu Enttäuschungen führen und das ist irgendwie falsch. Ich habe etwas falsch gemacht, wenn ich enttäuscht bin. Ich habe eben etwas Falsches erwartet, hätte ich mal meine Erwartungen niedriger angesetzt, mir nicht so große Ziele gesetzt oder so hohe moralische Vorstellungen, dann wäre ich jetzt ein glücklicher Mensch. Man sagt ja auch in Eso-Kreisen so gerne: Ent-TÄUSCHUNG, also ich habe einer Täuschung aufgesessen und ich darf dankbar sein, dass sie nun zerstört wurde.

Klar, muss man an diesem Regler auch manchmal drehen und seine Erwartungen und Vorstellungen prüfen. Bei mir wurde der Regler aber gleich auf null gedreht. Ich habe jahrelang geglaubt, ich sei schuld an meinem Unglück, weil ich eben Träume, Ziele und Erwartungen hatte. Und es sei irgendwie verboten etwas von Menschen zu erwarten, weil sie das unter Druck setzen kann und das finden sie unangenehm und ich bin dann selber schuld, wenn sie keinen Bock mehr auf mich haben. Überhaupt sollte ich meine Pläne lieber so gestalten, dass ich diese auch alleine umsetzen kann und andere Menschen in meinem Leben mehr so als Dekoration vorkommen.

Bei mir hat das zu einer extremen Unsicherheit darin geführt, überhaupt noch etwas zu wollen, mir vorzustellen oder für richtig zu halten. Oder Menschen einen wichtigen Platz in meinem Leben zu geben. Ich habe mir angewöhnt, einfach nichts zu fühlen, was hinterher zu einer Enttäuschung führen könnte.

Leider ist auch die Hoffnung oder gar die Erwartung, dass mir im Leben etwas Gutes passieren könnte, dass Menschen einen wichtigen Platz in meinem Leben einnehmen könnten oder der Antrieb, mich für meine Überzeugungen einzusetzen, verschwunden. Mein Ich, das sich früher scharfsinnig in Diskussionen behaupten konnte, das für seine Werte eingetreten ist und etwas in die Hand genommen hat, um seine Pläne zu verwirklichen, das hat angefangen sich tot zu stellen.

In diesem Moment der Schwächung meines Ichs sind wir dann in der Therapie in die Vergangenheit gereist. Meine Wurzeln in der Gegenwart waren gerade ziemlich lose und statt sie zu festigen, wandten wir uns zurück zu irgendwelchen verunsichernden Erfahrungen meiner Vergangenheit. In die sollte ich dann eintauchen, um das Gefühl von Angst, Ohnmacht und Trauer von damals zu spüren.

Denn angeblich seien die Gefühle, die ich heute fühlte, noch die von damals. Das heißt aber, dass meine heutigen Gefühle kindliche Gefühle sind, unreife Gefühle, nicht die Gefühle einer selbstsicheren, erwachsenen Frau. Also immer, wenn ich mich traurig oder wütend fühle, dann bin ich eigentlich ein Kind und damit weder ernst zu nehmen noch mächtig.

Ich bin irgendwie nur dann eine erwachsene Frau, wenn ich nicht traurig, ängstlich und wütend bin und das erreiche ich, indem ich eben keine Erwartungen an andere Menschen habe und mich alleine durchs Leben schlage.

Durch das ständige Eintauchen in vergangene und in kindliche Gefühle habe ich auch immer mehr angefangen mich wie ein Kind zu fühlen. Die Vergangenheit ist immer mehr zu meiner Lebenswelt geworden, obwohl ich vor meiner Therapie deutlich auf meine Zukunft ausgerichtet war und mich in der Gegenwart recht gut verankern konnte. Ich konnte mich auch in meinem Leben früh um mich selbst kümmern, war in der Lage meine geistige Welt stabil und flexibel zu halten, konnte mich organisieren. Auf einmal fühlte ich mich hilfloser als ich mich je als Kind gefühlt habe.

Die Vergangenheit flutete immer mehr in meine Gegenwart bzw. das, was ich für meine Vergangenheit hielt. Denn meine Vergangenheit musste irgendwie einen Schlüssel für meine heutigen Gefühle verborgen halten. Ich beschäftigte mich wie wild mit meiner Vergangenheit, aber dieser Schlüssel wollte nicht auftauchen. Deshalb nahm ich schon an, ich hätte noch viel schlimmere Dinge erlebt als die, an die ich mich erinnern konnte und irgendwelche Phantasien von tief verdrängten Erlebnissen tauchten auf. Jetzt war nicht nur meine Gegenwart verworren, sondern auch meine Vergangenheit fing an, mir zu entgleiten.

Es wäre so einfach gewesen, festzustellen, was mein Problem war, wenn mein Therapeut nicht so versessen darauf gewesen wäre, in meiner Vergangenheit herumzuwühlen. Wenn ihm durch seine theoretische Fundierung und seine Methoden der Weg nicht verstellt worden wäre, einfach anzuerkennen, dass ich in der Gegenwart traurig und wütend war, weil ich an meinen Plänen, Ansprüchen und Hoffnungen gescheitert war, weil da größere Widerstände waren, als ich einkalkuliert hatte.

Ich hatte mir gedacht, dass ich alles tun konnte, was ich wollte, wenn ich nur genug wollte. Aber es zeigte sich, dass Wollen alleine nicht ausreicht und dass manche Dinge leichter zu verwirklichen sind als andere. Ich hatte mir aber die Dinge ausgesucht, die auf den meisten Widerstand stoßen.

In Wahrheit ist so das Leben, man hat Pläne und mal kann man sie umsetzen und mal scheitert man. Manchmal erwartet man etwas und es trifft nicht so ein, dann ist man traurig oder frustriert. Ich weiß nicht, woher die Vorstellung kommt, man könnte oder sollte diese Erfahrungen umgehen. Ich weiß nicht, weshalb der Ansatz nicht einfach ist zu erkennen, an welcher Sache und warum man gescheitert ist und damit einen Umgang zu finden.

Also doch, ich habe eine Idee, woran das liegen könnte. Weil die Ohnmacht, die wir real erfahren, viel größer ist, als sie eigentlich sein sollte, wenn wir wirklich so frei wären, wie uns erzählt wird. In Wirklichkeit haben wir nur Freiheiten in einem vorgegebenen Rahmen, den Rahmen aber können wir (alleine) nicht ändern. Unweigerlich wird man auf seinem Weg mit der Nase gegen diesen Rahmen stoßen, dieser dürfte aber da ja gar nicht sein, denn offiziell gibt es ihn nicht. Also muss dann wohl irgendetwas mit der eigenen Wahrnehmung oder Einstellung nicht stimmen. Die ganzen Gefühle von Frust, Trauer, Angst und Wut, die beim Stoßen mit der Nase gegen diese Widerstände auftreten, brauchen also eine Erklärung.

Würde man offen zugeben, dass es da Widerstände gibt, würde man zugeben, dass unsere Freiheit beschränkt ist, dann wüsste man sehr schnell und einfach, warum die Nase weh tut, nämlich weil man gerade gegen eine Grenze gelaufen ist. Man wüsste also, wo der Frust, die Wut, die Enttäuschung und die Angst herkämen. Aber weil offiziell alles mit der Weise, wie wir leben, in Ordnung ist und es da keine Grenze gäbe, darf es diese Gefühle nicht geben. Und wenn es sie doch gibt, dann müssen sie von woanders kommen, irgendetwas, was die Menschen davon abhält, die Grenzen zu hinterfragen und sich zu überlegen, ob man die Lebensweise nicht so ändern könnte, dass weniger Angst, Wut, Trauer, Frust entstehen würden.

Also, warum lässt man die Leute nicht in ihrer Vergangenheit wühlen? Einerseits lenkt es auf der Zeitebene von heute ab und andererseits lenkt es den Fokus komplett auf die individuelle Ebene und ganz weit weg von Fragen des allgemeinen Zusammenlebens. Wer dann in seiner Vergangenheit nicht fündig wird, der hat halt nicht genau geguckt.

Ich wäre an diesem Herumwühlen in der Vergangenheit fast wahnsinnig geworden. Ich fand dort einfach nicht den Grund und Lösung für meine Gefühle, fand aber natürlich trotzdem noch einiges unschönes. Die das Unschöne begleitenden Gefühle kamen dann noch obendrauf und plötzlich war alles nur noch ein unspezifischer Sumpf aus traurigen Gefühlen. Zudem begab ich mich immer wieder in die Rolle des Kindes und in der blieb ich auch stecken. Auf einmal war ich hilflos und orientierungslos, obwohl ich das vorher nicht gewesen war.

Mein Therapeut wird das sicherlich nicht extra gemacht haben. Er ist einfach kein besonders gesellschaftskritischer Mensch und sieht kein Problem darin, sich in die Gesellschaft einzufügen und konnte daher meine Probleme damit nicht nachvollziehen. Aus seiner Perspektive konnten daher meine Gefühle nicht herrühren und weil er es eben so gelernt hat, dass Gefühle auch von der Vergangenheit beeinflusst werden können, suchte er dort nach der Ursache. Dass auch er da keine hinreichende Erklärung finden konnte und nicht verstand, warum sich bei mir nichts änderte, ließ ihn nicht an seinem Konzept zweifeln. Vielmehr muss ihn wohl irgendwann das Gefühl beschlichen haben, ich sollte doch jetzt einfach mal in der Lage sein klarzukommen.

Was wir in Wirklichkeit in der Therapie gefunden haben, ist den blinden Fleck meines Therapeuten. Weil bei mir nicht sein kann, was bei ihm nicht ist, wurde mein Problem nicht erkannt.

Und ich fürchte, man muss noch dranhängen: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ernsthafte Probleme mit der Gestaltung der Gesellschaft zu haben, das ist so ein gravierendes Problem, da blickt man erst mal hilflos auf eine 15 Meter hohe Mauer. Und wenn man einmal anfängt darüber nachzudenken, dann weiß man nicht, ob man sein Leben hinterher einfach normal weiter leben kann.

Ich kann es nicht und ich weiß, dass Menschen Angst haben, sich mit diesem Zweifel anzustecken.

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