Den Kampf beenden

Vor einigen Tagen spielte ich Hellblade: Senua´s Sacrifice zu Ende. Das Game angefangen hatte ich 2019, konnte es aber aufgrund seiner Intensität nicht weiterspielen.

Für diejenigen, die das Game verkraften und es noch spielen wollen, rate ich, es zu spielen! Und den Text später zu lesen, weil es hier Spoiler gibt.

Über das Spiel

Die Protagonistin des Spiels ist die keltische Kriegerin Senua, die ihren Geliebten durch den Angriff der „Nordmänner“ verloren hat und nun seine Seele retten will, indem sie nach Helheim, das Reich der Totengöttin Hela reist. Dort will sie die Göttin selbst darum bitten, ihr ihren Geliebten zurückzugeben.

Das Besondere an dem Game ist die Thematisierung von psychischer Gesundheit. Senua leidet aufgrund von traumatischen Erlebnissen unter einer Psychose. Die Wanderung durch Helheim ist eine Wanderung durch eine Welt, wie sie sieht, geprägt von ihren Ängsten, ihrem Schmerz, ihren Schuldgefühlen.

Eine Welt geboren aus der Angst

Für die Gestaltung des Spiels haben die Entwickler mit Betroffenen zusammen gearbeitet und sich beraten lassen, wie Menschen mit Psychose die Welt wahrnehmen. Sie haben versucht, diese Beschreibungen in die Spielwelt zu übersetzen.

Das Ergebnis ist eine Welt, die jederzeit ihre Gestalt wandeln kann. Bei anderen Games kann man nach kurzer Spielzeit in etwa abschätzen, wie die Spielmechanik funktioniert und wie es in der Spielewelt in abläuft. In Hellblade kann sich ein zunächst „normal“ wirkendes Szenario plötzlich in den reinsten Horror verwandeln. Plötzlich brennt die Welt und man sucht einen Weg durch das Inferno, Gegner tauchen aus dem Nichts auf, verwandeln sich in Rauch, vervielfachen sich. Mal flieht man durch Labyrinthe vor gestaltlosen Verfolgern. Mal verlässt einen der Sehsinn und man tappt im wahrsten Sinne des Wortes durch das Dunkel, ein anderes Mal ist es die Dunkelheit selbst, die zur tödlichen Gefahr wird.

Bei alldem fragte ich mich, wo das bloß hinführen würde. Wenn der Weg schon von solchem Grauen war, was sollte am Ende dieses Weges kommen? Wie konnte der Endgegner aussehen, die letzte Schlacht?

Als ich das Spiel das erste Mal anspielte, waren mir schon die Stimmen, die Senua hört, zu viel. Ich empfand es als verunsichernd, dass meine Handlungen ständig kommentiert wurden. Die Plötzlichkeit, mit der die Szenarien wechselten und die Unmöglichkeit, sich im Vorhinein auf eine Herausforderung einzustellen, erzeugten Stress in mir.

Dazu kommt, dass bei jedem Fehlversuch eine Art Dunkelheit durch Senuas Arm näher zum Kopf wandert und man von neuem beginnen muss, wenn er erreicht wird. Die Sicherheit, die andere Spiele bieten, vom letzten Spielstand neu zu beginnen, gibt es hier nicht. Gerade das macht aber den Charakter eines Spieles im Gegensatz zum echten Leben aus: immer wieder neu beginnen dürfen.

Was ist Wirklichkeit?

Ich glaube im Nachhinein, dass ich das Spiel 2019 nicht spielen konnte, weil ich den Horror, den Senua erlebt, als real verstand. So sah Helheim aus, so sah die Wirklichkeit aus, durch die Senua sich hindurchkämpfen musste.

Und auf eine Weise ist es Senuas Wirklichkeit und die Wirklichkeit, die der*die Spieler*in miterlebt.

Dieses Mal aber konnte ich die Welt als Senuas innere Welt wahrnehmen, als Manifestation ihrer Ängste und ihres Kampfes mit sich selbst. Ich wusste, dass es richtig wäre, mich mit Senua diesen Ängsten zu stellen. Im Laufe des Spieles spürte ich immer mehr, dass es der Kampf gegen diese Welt ist, der sie überhaupt zum Leben erweckt. Der Horror erwächst aus dem Widerstand. Senua kämpft nicht gegen die Göttin Hela, sie kämpft gegen sich selbst. Mir wurde klar, dass sie den Kampf nicht gewinnen konnte, indem sie immer heftigeren Widerstand leistete, indem sie vor ihrem Trauma floh, sich selbst verurteilte und sich mit Gewalt durch ihre eigene Seele schlug. Innerlich flüsterte ich ihr zu: Hör auf zu kämpfen. Lass los.

Dasselbe kann ich mir zuflüstern.

Ich habe zwar keine Psychose, wie man sie diagnostizieren würde, nämlich z.b. Dinge wahrzunehmen, die in der „Realität“ nicht da sind. Aber was heißt schon Realität und was sind Dinge, die nicht da sind? Das Spiel stellt deutlich heraus: Für Senua sieht die Realität aus, wie wir sie in der Spielwelt erleben. Es ist ihre Realität.

Wenn ich meine Wirklichkeitswahrnehmung und die von Senua vergleiche, dann unterscheiden sie sich nur dadurch, dass meine Ängste keine akustische oder visuelle Gestalt annehmen. Meine Zweifel, Selbstvorwürfe und Unsicherheiten werden nicht zu fremden Stimmen, sondern ich nehme sie als Gedanken wahr. Auch erscheinen sie nicht als das, was man als Illusionen bezeichnen würde, sondern sie legen sich eher als geistige Schicht über die Dinge, die ich sehe. Meine Gefühle färben die Stimmung der Welt ein, prägen meine Beurteilung und meine Reaktion. Der Unterschied ist aber eigentlich nur, dass mir etwas als beängstigend erscheint, während für Senua die Angst eine Form findet und ihr als Dämon oder andere Bedrohung erscheint.

In beiden Wahrnehmungsformen ist die Angst aber da und für mich ist sie genauso Teil der Welt, wie für Senua, auch wenn sie nicht als loderndes Feuer oder Dämon daherkommt. Meine Wirklichkeit ist auf einer bestimmten Ebene auch ein Horror, während ich auf Tische, Wände, Häuser, Bäume, Menschen gucke, die andere wohl auch wahrnehmen.

Und ich bin davon überzeugt, dass andere Menschen zur selben Zeit einen anderen Horror in der Welt sehen könnten. Was man sieht und wie intensiv, das hängt einfach vom eigenen Trauma ab. Dem Menschen mit Psychose aber sagt man, er*sie nähme Dinge wahr, die in Wirklichkeit nicht da wären. Warum sagt man das nicht über Menschen, die in Klimaaktivist*innen eine Bedrohung sehen, über die, die in der Ukraine Nazis in der Regierung sehen oder die, die an eine unsichtbare Hand des Marktes glauben, als wäre das eine göttliche Kraft?

Der Wirklichkeit näher kommen

Wie findet man heraus, wie die Wirklichkeit aussieht? Kann man das überhaupt herausfinden oder sind wir alle in unseren Wahrnehmungsblasen gefangen? Nicht umsonst ist das eine der großen philosophischen Fragen, auch wenn wir das im Alltag gerne ausblenden und so tun, als wäre, das, was gerade wir wahrnehmen, die Wirklichkeit. Es ist hilfreich, sich davon ab und zu lösen und heraus zu finden, durch welche Filter man auf die Welt schaut.

Ich bin der Überzeugung, dass man der Wirklichkeit näher kommen kann. Und zwar dann, wenn man das Kämpfen lässt. Wie in Hellblade ist es der Kampf selbst, der Widerstand, der den Horror und die Verwirrung entstehen lässt.

Was das Spiel für mich so großartig macht, ist, dass es am Ende eben nicht ein Sieg im Kampf ist, der Senua erlöst, sondern die Akzeptanz ihres Verlustes und das Loslassen. Sie erkennt ihr Trauma, versteht, dass sie keine Schuld trägt und dennoch ihren Geliebten nicht zurückbekommen kann. Das Spiel trägt eine echte Weisheit in sich.

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