Die eine Lösung für alles und die, auf die ich nie gekommen bin

Bild von Dan Galvani Sommavilla auf pexels

Meine Umgebung hat mir schon sehr früh Angst gemacht. Da war zu viel, zu viele Reize, zu viele Herausforderungen, zu viele Aufgaben und Anforderungen. Da waren auch zu viele heftige Gefühle von anderen Menschen, zu viel Unklarheit und Durcheinander. Es war nicht sicher und ich brauchte Schutz.

Er musste am besten jederzeit griffbereit sein, wie die Waffe im Holster eines Revolverhelden. Was würde es mir bringen, wenn ich lange danach suchen müsste in einem Moment der Bedrohung? Noch besser aber wäre, wenn der Schutz präventiv wirken würde und Bedrohungen abwehren könnte, bevor sie entstünden. Zuletzt müsste der Schutz universal sein. Statt für verschiedene Bedrohungsszenarien unterschiedliche Lösungen zu entwickeln, wäre es am besten, man hätte eine für alles.

Das Schweizer Taschenmesser, der Multi-Dremel, die Kampfausrüstung fürs Leben

Die erste Lösung: Burnout-Modus

Lange Zeit meines Lebens war meine Antwort auf alles, permanente Anspannung und perfektionistische, hektische Geschäftigkeit. Jede Anforderung an mich roch ich wie der Jagdhund die Fährte. Noch bevor jemand etwas von mir wollen konnte, hatte ich es schon getan. Um Fehler oder Versäumnisse zu vermeiden, vergewisserte ich mich immer genau, was auf mich zukam, klammerte mich an meinen Kalender und ließ trotzdem keine einzige Aufgabe aus meinen Gedanken verschwinden. Die Panik davor, doch irgendetwas vergessen zu haben, trieb mich jeden Tag zu Höchstleistungen. Dennoch fühlte es sich nie so an, als wäre es genug.

Ich wusste nicht, dass die Daueranspannung in meinem Körper ein chronisch hohes Stresslevel verursacht hatte. Das war wie eine Droge, wenn ich runterkam, dann fühlte sich etwas falsch an. Ich musste wieder draufkommen. Nur wenn mein Gaspedal durchgetreten war, gab es annähernd so etwas wie Ordnung und Sicherheit.

Zusammenbruch

Irgendwann war es dann so weit, ich konnte endgültig nicht mehr. Ich hatte monatelang gegen Widerstände und gegen Ohnmacht angearbeitet. Ich hatte das Gefühl keine Kontrolle über mein Leben zu haben, es nicht so gestalten können, wie ich wollte. Und meine Geschäftigkeit konnte dagegen nichts ausrichten. Erschöpft und völlig verzweifelt brach ich zusammen.

Seitdem funktioniert der Hochleistungs-Ansatz für mich nicht mehr als Lösung. Ich wollte mich nicht mehr weiter von der Angst in die Erschöpfung treiben lassen. Ich wollte überhaupt, dass die Angst aufhört. Nur hat die Angst nicht so einfach aufgehört, aber meine Waffe, mein Schutzschild, meine Lösung für alles war zerbrochen.

Suche

Ich glaube, seitdem habe ich nach einer neuen Universallösung gesucht. Es fühlt sich an, als hätte ich verschiedene geistige Haltungen durchgespielt, die ich einnehmen kann. Mal war ich dauerhaft wütend, mal apathisch, mal rebellisch, mal egoistisch, mal traurig. Alle diese Geisteszustände probierte ich aus wie die nächste große Lösung, die auf alles passen musste. Aber ich konnte in keinem der Zustände konstant verharren und vor allem ging die Angst davon immer noch nicht weg.

Oder die Angst vor der Angst. Die Universallösung muss immer auch für alle Ewigkeiten funktionieren. Ich muss sicher sein, dass ich damit auch die Zukunft unter Kontrolle bekomme.

Wenn die vorherige Strategie vor allem Anpassung war, dann habe ich mich in den letzten Jahren zum Kampf entwickelt.

All die aufgestaute Aggression, die aufgrund der dauerhaften Anpassung entstanden ist, kochte hoch. Wie oft hatte ich mich selbst verraten, mich von mir entfremdet? Das alles war schon lange nicht mehr mein Leben, das war schon lange nicht mehr ich. Alles fühlte sich unwahr und falsch an. Tausende Mal hatte ich meine Gefühle zugunsten der Anpassung weggedrückt, verleumdet, ignoriert. Tausende Mal bin ich über meine Grenzen hinweggegangen, war überfordert und verausgabt.

Worauf ich selten gekommen bin

Die Lösung, die mir dabei fast nie eingefallen ist, ist der Versuch, meine Gefühle offen auszusprechen und ihnen Raum zu verschaffen. Irgendwo tief in mir drin weiß ich, dass das ein Ansatz ist, aber tief in mir drin ist auch der Erfahrung abgespeichert, dass der Ansatz nicht funktioniert.

Meine Gefühle waren immer egal.

Es hat niemand danach gefragt, wie ich mich mit irgendwas fühle. Es war egal, ob ich überfordert war. Das war in meiner Familie so, das war an der Schule so und das ist im Berufsleben so. Was zählt, ist Leistung.

In meiner Familie versuchte ich meine Bedürfnisse zu äußern. Ich schrie mit voller Kraft und all meinem Willen in den dauerhaften Streit meiner Eltern hinein, dass sie aufhören sollten. Ich wurde ignoriert. Sie schrien weiter herum, ohne auf mich einzugehen. Das war eine tiefe Erfahrung von Ohnmacht. Egal wie deutlich ich es machte, dass für mich etwas nicht stimmte, es hatte keinen Effekt. Ich lernte, dass es andere Menschen einen Scheiß interessiert, wie es mir geht.

Vielmehr mache ich es noch komplizierter und schwieriger, wenn ich meine Gefühle ausdrücke. Es waren ja schon immer die verwirrten Gefühle anderer Menschen im Raum. Sie ballten sich zu hässlichen Energien, verbreiteten Chaos und Unsicherheit. Jederzeit konnte alles auseinanderfliegen. Meine Gefühle konnten der Funke sein, der alles entzündete.

Oder ich könnte Zorn auf mich ziehen. Jemand könnte wütend auf mich werden, weil ihm meine Reaktion nicht passte. Er könnte seinen Frust bei mir ablassen und es könnte etwas Schlimmeres passieren, als dass ich nur ignoriert werde. Tatsächlich waren nicht nur meine Eltern immer wieder wütend auf mich, weil ich auf ein Problem hinwies und eine Änderung der Situation wollte. Ich löste damit oft Widerstände aus. Die Menschen wollen am liebsten Probleme verdrängen und mögen es gar nicht, wenn sie sich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Dann bin ich im Zweifel der Buhmann.

Außerdem lernte ich, dass man einfach nicht über seine Gefühle redet. Das ist eine Schwäche. Man darf sich nicht anmerken lassen, dass eine Situation einem etwas ausmachen. Am besten machen einem diese Dinge gar nicht erst etwas aus. Falls sie es doch tun, ist man im üblichen Verständnis schwach oder aus einer psychologischen Perspektive unreif oder aus einer esoterischen ist man nicht besonders weise.

Unsere ganze Kultur ist eine Kultur ohne Gefühle.

Wir tun so, als wären wir Vulkanier. Wir tun so, als wären wir weise, ruhig und vernünftig. Unsere Demokratie soll auf einem Austausch an Argumenten beruhen. Wir orientieren uns an wissenschaftlichen Erkenntnissen und diskutieren so lange friedlich, bis wir eine gute Lösung gefunden haben. Die Gesellschaft wird von rationalen Strukturen geordnet, wir haben vernünftige Gesetze und unsere Technik wird wohlüberlegt zum Wohle aller angewendet.

In Wirklichkeit laufen die Menschen Amok. Schon wegen der kleinsten Sache will man sich an die Gurgel, der Diskurs wird von denen bestimmt, die am lautesten schreien, alle sind wütend und haben irgendein Feindbild, auf das sie ihren Hass projizieren. Der Dampfkochtopf ist am Brodeln und viele haben Angst, dass bald alles in die Luft geht.

Da sind reichlich Gefühle. Aufgestaute Gefühle, die keinen Platz haben und nie gehört wurden. Für diese Gefühle hat sich nie jemand interessiert. Man hat nie über sie gesprochen. Jetzt sind es zu viele geworden. Die Wut über die Ohnmacht ist zu schwer zu ertragen geworden, man ist bereit zu kämpfen.

Wenn da früher Platz für Gefühle gewesen wäre, hätten sie nicht so eskalieren müssen. Jetzt stecken alle in ihren Hass-Sackgassen fest, fühlen sich an die Wand gedrängt, verlieren sich in wahnhaften Gedankenkonstrukten.

Keine Lösung

Oder in meinem Falle in der Depression, weil mir das mit den Feindbildern immer verdächtig vorkam und ich die Aggression eher nach innen gerichtet habe. So oder so führt das nirgendwohin. Die einen wollen mit selbstgebastelten Personalausweisen und Waffengewalt die Regierung stürzen, die anderen verteidigen ihre Vormachtstellung mit Diffamierungen und Strafen, und Menschen wie ich, die fallen in sich zusammen und stellen sich tot.

Ich habe nie die Option ernst genommen, einfach meine Gefühle zu äußern und für sie einzutreten. Das war in der Vergangenheit so erfolglos vonstattengegangen, dass ich das gar nicht mehr versuchte oder aber davon ausging, ich müsste sie mit Gewalt verteidigen. Deshalb wir da immer diese gedrosselte Wut in mir, der Kampfmodus war innerlich schon aktiviert, aber ich wollte ihn lieber nicht nach außen bringen, weil ich wusste, dass das keine Lösung wäre.

Mich gar nicht für mich selbst einzusetzen, brachte mir aber die Entfremdung, Sinnlosigkeit und Unwahrheit. Das führte nur dazu, dass ich mich nie gesehen fühlte, nicht gewollt, als hätte ich überhaupt keinen Platz auf der Welt. Mir selbst fremd, kann ich mein Leben nicht gestalten, kann keine Verbindung zu anderen Menschen aufnehmen und überhaupt nichts tun, was sich anfühlt, als käme es wirklich von mir.

Lange Zeit habe ich mich so verhalten, als wäre mein Leben ein Kampf und Leben oder Tod. Entweder ich brachte mein Gegenüber – mehr oder weniger metaphorisch gesprochen – um oder ich gab einfach auf. Weil mir mein Gegenüber meistens übermächtig vorkam, gab ich auch meistens auf.

Manchmal versuchte ich auch mein Gegenüber in eine andere Situation zu locken, aus dem Kampfmodus auszusteigen, indem ich ihm mit Verständnis begegnete. Aber wenn der andere kämpfen will, dann kann man das nicht unbedingt ändern. Spätestens dann gab es dann doch wieder nur Kampf oder Totstellen.

Eine Ahnung von etwas Neuem

Ich habe mir dabei immer einen sehr primitiven Kampf vorgestellt. Jeder hat einen riesigen Hammer und versucht den anderen zu Brei zu zerquetschen. In den letzten Tagen aber fiel mir auf, das physische Kampfkünste selten so primitiv ausfallen, dass es da auch die Möglichkeit gibt, einem Schlag auszuweichen oder den Schwung des*der Gegner*in für einen Wurf zu nutzen.

Es mag etwas seltsam klingen, aber bei der Imagination mit welcher inneren Haltung man eine solche äußere Kampfkunst ausüben könnte, fiel mir auf, dass man das wohl kaum mit der dauerhaften Anspannung tun würde, mit der ich durch die Welt laufe. Ich konnte mir keine*n Tai Chi Meister*in vorstellen, der*die mit der selben Zerstörungswut im Bauch auf ein*e Gegner*in losgehen würde, wie ich sie in mir spüre. Das wäre einfach nur kräftezehrend.

In mir macht sich die Ahnung breit, dass es einen einen Wegen könnte, für sich einzustehen, ohne Kampf. Ohne diesen Vernichtungswillen in meinem Bauch oder der Angst vor dem Vernichtungswillen meines Gegenübers.

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