Sich mit der Dunkelheit anfreunden

Bild von Francesco Ungaro auf pexels

Was ist dieses Unbehagen?

Mein ganzes Leben lang habe ich das Gefühl, dass andere Menschen es komisch finden oder Angst davor haben, was ich wahrnehme. Vor allem meine gesellschaftskritischen Ansichten rufen Unbehagen in meinen Gesprächspartner*innen hervor.

Ich habe diese Reaktion oft gespürt, konnte sie aber meistens nicht verarbeiten. Es war nur das Gefühl da, gerade in eine dunkle Ecke zu tappen. Der Ton des Gesprächs verändert sich. Mein Gegenüber fängt an zu mauern, oder wird aggressiv oder versucht dem Gesprächsthema irgendwie zu entkommen. Unbehagen steigt auf. Ich fühle, wie ich den Kontakt zu meinem Gegenüber verliere. Gerade war da noch eine Verbindung, dann habe ich etwas von meiner Weltsicht preisgegeben und nun versucht mein Gegenüber Distanz aufzubauen.

Ich spüre Angst und ich weiß nicht, ob es meine eigene ist oder die meines Gegenübers. Ist es die Angst davor, den Kontakt zu verlieren? Ist es die Angst davor, unverstanden zu sein oder abgelehnt zu werden? Oder ist es die Angst meines Gegenübers vor dem, was ich gesagt habe? Oft konnte ich das nicht auseinander halten. Es stand einfach nur diffuse Angst im Raum, als hätte jemand den Knopf für den Horror-Film Modus gedrückt. Oder als hätte ich eine unbekannte Grenze überschritten.

Zweifel an meiner Wahrnehmung

Mich hat das lange Zeit verunsichert und mich an meiner Wahrnehmung und an meinen Gedanken zweifeln lassen. Wenn du mit deiner Realitätswahrnehmung immer wieder solche Reaktionen auslöst, dann stiftet das nicht gerade Vertrauen gegenüber deiner eigenen Wahrnehmung.

Ich glaube, ohne Wissenschaft hätte ich mich wohl irgendwann für verrückt gehalten und mich gar nicht getraut, meine Empfindungen weiter zu erforschen und Erklärungen für sie zu finden. Die Tatsache, dass es gerade gut recherchierte Bücher fundiert augmentierender Autor*innen sind, in denen ich Resonanz für meine Wahrnehmungen finde, hat mir die Hoffnung gegeben, dass ich mitnichten verrückt bin.

Jeder Mensch braucht auch mal Verständnis und Zustimmung, um das Gefühl zu haben, seine Wahrnehmung hätte einen angemessenen Bezug zur Wirklichkeit. Wir können uns nicht ganz sicher sein, wie gut unsere Wahrnehmung die Wirklichkeit widerspiegelt. Wenn wir uns mit anderen Menschen darüber austauschen und sie unsere Einschätzungen teilen, gehen wir normalerweise davon aus, dass wir uns ein richtiges Bild der Welt gemacht haben.

Es gibt aber auch manchmal Empfindungen und Gedanken, die keine Resonanz finden. Vereinzelt ist das sicher zu verkraften. Was aber passiert, wenn du damit immer wieder auf Unverständnis stößt? Oder gar diese Angst auslöst, die ich beschrieb?

Die Angst der Anderen

Mittlerweile glaube ich, dass ich mit meinen Gedanken manchmal Themen berühre, die meine Gesprächspartner*innen ängstigen. Es ist in dem Gespräch nicht meine Angst, die ich spüre, sondern die meines Gegenübers. Ich fühle sie so intensiv und sie verschmilzt fast mit meinen Empfindungen, weil auch ich die Angst vor den Themen kenne, die ich anspreche.

Lange Zeit wollte ich da etwas nicht wahrhaben, etwas von der Wirklichkeit nicht so sehen, wie es ist. Ich mauerte, wurde aggressiv, versuchte zu flüchten oder redete mir etwas schön. Ich wollte die Wahrheit nicht wissen, weil sie mir zu schwer zu ertragen schien. Eine tiefe, unbewusste Angst hält uns vor dieser Art Wahrheiten fern. Sie lässt uns einen Eiertanz aufführen. Wir verbiegen uns, drehen die Welt hin und her, stellen uns auf den Kopf, damit wir irgendwie drumherum kommen, uns der Wahrheit zu stellen.

Wenn ich von meinen Wahrnehmungen und Gedanken berichte, dann spüre ich manchmal diese Angst in meinem Gegenüber. Sie ist mir vertraut, aber es ist nicht meine. Irgendwas habe ich gesagt, worum mein Gegenüber nun den Eiertanz aufführen muss. Ich habe einen Schutzwall berührt. Gerade konnte die Person sich mit irgendeinem gedanklichen Konstrukt noch selbst beschwichtigen, sich selbst Hoffnung machen und optimistisch sein. Etwas, das ich gesagt habe, bringt das Konstrukt zum Wackeln. Dahinter lauert die Dunkelheit.

Bewertung von Gefühlen

Oft dachte ich, ich würde die Dunkelheit bringen. Ich wäre pessimistisch und würde negative Gefühle verbreiten. Statt meiner Wahrnehmung zu trauen, sollte ich lieber die optimistischen Perspektiven meiner Gesprächspartner*innen übernehmen und aufhören, sie mit meinen depressiven Gedanken zu behelligen.

Die Bewertung als negativ, pessimistisch oder depressiv kam aber eigentlich nicht von mir. Ich konnte schon früh in meinem Leben mit einer Dunkelheit und Melancholie umgehen, ohne dass ich sie direkt als bedrohlich oder negativ wahrgenommen hätte. Solange ich diese Empfindungen als legitime Resonanz in mir verstand, waren die Gefühle völlig in Ordnung. Erst die Bewertung von außen und die Reaktionen von Angst und Abwehr der Anderen brachten mir bei, dass diese Gefühle nicht gut sein, ich sie in mir verstecken müsste oder am besten gar nicht hätte. Früher war meine Melancholie mit einer Bewunderung der Schönheit der Welt verbunden, hatte eine Tiefe an sich und brachte mir Klarheit.

Erst die Abwertung von außen machte daraus etwas Falsches, dysfunktionales und etwas, das mich von anderen Menschen trennte.

Ich konnte die Abwertung nicht als Angst dechiffrieren. Für mich war es jahrelang einfach Ablehnung. Lange dachte ich, ich würde etwas falsch machen oder gar, dass ich einfach als ganzes falsch wäre.

Vielleicht mache ich im Gegenteil aber etwas ganz richtig und gucke dahin, wo sonst kaum jemand hinsehen will.

Dunkelheit und Wirklichkeit

Meiner Erfahrung nach kann man sich mit der Dunkelheit anfreunden.

Es ist wie in der Nacht ohne Lampe in den Wald zu gehen. Plötzlich können wir uns nicht mehr auf unsere Sicht verlassen, die eng mit unseren Gedankenkonstrukten verknüpft ist. Unser Sehen ist besonders stark Projektion geistiger Vorurteile. In der Dunkelheit funktioniert das nicht mehr und deshalb fühlen wir uns entwaffnet und viel verletzlicher als sonst. In diesem Moment kann der Wald stärker in seiner Lebendigkeit hervortreten, die wir tagsüber nicht nur mit unseren geistigen Projektionen unterdrücken, sondern auch mit unseren anderen geschäftigen Aktivitäten zurückdrängen. Die Nacht gehört den Tieren. Sie erobern sich den Wald zurück und erfüllen ihn mit Knacksen, Rascheln und Knabbern. Den meisten Menschen macht es Angst. Sie fühlen sich orientierungslos, trauen ihren Sinnen nicht, fühlen sich verfolgt und bedroht. Überall sehen sie auf einmal Augen von wilden Raubtieren. Wer es wagt, seine Angst auszuhalten, sich auszusetzen und seine Vormachtstellung aufzugeben, der wird mit besonders intensiven Erlebnissen belohnt. Der*diejenige kann das Leben um sich herum wahrnehmen, unbehelligt von menschlichem Zugriff.

Ich glaube, Wahrheit ist da, wo geistiger Zugriff aufhört. Wo man aufhört, an der Wirklichkeit herumzuzerren, sie zu verbiegen, sie zu verschönern, sie umzuschreiben. Nur muss man sich dafür eventuell in die Dunkelheit begeben und sich mit seiner Angst auseinandersetzen. Meiner Erfahrung nach geht die Angst und der Schmerz nicht von schönen Konstrukten weg, sondern dann, wenn man bereit ist, auch die Dunkelheit da sein zu lassen.

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