Manipulation der eigenen Gefühle als Überlebensstrategie

Bild von Tho-Ge auf pixabay

Es gibt einen psychologischen Mechanismus, mit denen wir versuchen, unsere Integrität aufrechtzuerhalten, der uns aber eigentlich von uns entfernt.

Wir wollen, dass unsere Gefühle, unsere Bedürfnisse, unser Weltbild und die Welt, wie wir sie erleben, im Einklang miteinander sind. Es ist äußerst frustrierend, wenn die eigenen Gefühle immer anders sind als die der anderen Menschen um einen herum oder wenn Bedürfnisse einfach keine Befriedigung erlangen. Am besten geht es uns, wenn wir ehrlich zu unserem Innenleben stehen können, Möglichkeiten haben es auszudrücken und damit mit der Umwelt in Resonanz, Verbindung und Austausch gehen können.

Falls es einen Konflikt zwischen Innen und Außen gibt, weil ein Gegenüber nicht so wie ich will, weil eine Situation einfach nicht den eigenen Bedürfnissen entspricht und man die eigenen Kräfte nicht einbringen kann, dann gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen:

Ich kann versuchen etwas an der Situation zu ändern, kann mit meinem Gegenüber reden, kann ein anderes Setting aufsuchen, mir neue Aufgaben vornehmen oder versuchen mich auf neue Weise auszudrücken.

Die andere Möglichkeit ist, das eigene Innenleben an die bestehende äußere Situation anzupassen. Ich kann versuchen, etwas anders zu sehen, kann meine Gefühle reflektieren, kann mich auf jemanden einlassen oder eine Situation neu bewerten. Manchmal muss ich auch einfach etwas so nehmen, wie es ist und mich mit meinem Unwohlsein dabei abfinden.

Ich schätze, welche Option wir wählen hat wieder mal viel damit zu tun, welche wir als Kind als funktionierend und zielführend erfahren haben. Äußere ich meine Bedürfnisse und es wird darauf eingegangen, dann erlebe ich, dass ich durch Äußerungen wirksam werden kann und die Möglichkeit besteht meine Umwelt so zu formen, dass sie meinen Bedürfnissen entgegenkommt. Erlebe ich, dass ich Situationen gestalten kann und sie dabei Formen annimmt, die mit meinem Innenleben in Stimmigkeit kommen, dann wird sich das für mich als Handlungsoption etablieren.

Als Kind lernen wir aber schnell, dass wir nicht alles so ändern können, wie es uns passt. Die Außenwelt leistet gehörig Widerstand und die Eltern schieben vielen Dingen einen Riegel vor. In der Schule lernt man stillzuhalten, wenn man eigentlich herumrennen will und sich in Dinge reinzuhängen, die einen überhaupt nicht interessieren. Andere Menschen wollen andere Dinge und man kann sich nicht einigen und überhaupt gibt es ganz schön viele Pflichten und Aufgaben.

Ich denke, eine Welt, die keinen Widerstand leisten würde, in der wir immer alles bekämen, was, wann und wie wir es wollten, wäre eine schreckliche Welt. Wahrscheinlich würde sich unser Ego ins Unermessliche aufblasen und wir würden glauben, die Welt bestünde nur aus Verlängerungen unseres Ichs. Wahrscheinlich würde man sich einsam und leer fühlen und andere Menschen würden nie zum Gegenüber, weil man sie herumschubsen kann, wie es einem passt.

Aber was passiert, wenn man zu oft erfahren hat, dass die eigenen Versuche Situationen zu ändern nicht wirken? Wenn man seine Gefühle und Bedürfnisse äußert und niemand geht darauf ein? Welche Auswirkungen hat es, wenn jemand nie so gefördert wurde, dass sie ihre eigenen Stärken kennenlernt? Was lernt ein Mensch, wenn er merkt, dass es am wenigsten Konflikte mit der Außenwelt gibt, wenn er sich anpasst und die Aufgaben erfüllt, die ihm aufgetragen werden?

Wir sind als Kind in einer ohnmächtigen Situation. Ganz und gar sind wir von unserer Umwelt abhängig. Weder können wir uns selbst ein Heim, Nahrung und Kleidung beschaffen, noch können wir uns selbst emotionalen Schutz und Halt bieten. Die Erfahrungen von Wirksamkeit und Ermächtigungen kommen daher zustande, weil sie uns jemand zugesteht. Wir können diese Erfahrungen machen, weil irgendein Erwachsener es für wertvoll hält, dass wir uns ausdrücken dürfen, auch mal unserem Willen bekommen und Situationen unseren Bedürfnissen entsprechen. Wir erhalten unsere Handlungsfreiheit und Wirksamkeit durch die Gnade der Erwachsenen.

Was passiert, wenn Erwachsene das als nicht so wichtig empfinden, was das Kind will, wenn ihnen das lieber ist, dass das Kind macht, was ihren Bedürfnissen entspricht?

Ein Ausspruch der Mutter einer Freundin hat sich bis heute bei mir eingebrannt: Für Willies gibt es hier nichts. Soll heißen, für jemanden, der „Ich will“ sagt, gibt es nichts. Sie wollte wahrscheinlich damit ihre Kinder dazu anhalten, dass sie höflich um Dinge bitten, aber für mich klang das doch auch danach, dass man hier lieber gar nicht erst etwas will.

Was passiert, wenn die Eltern gar nicht in der Lage sind, auf die Wünsche eines Kindes einzugehen oder wenn sie selbst eine Situation nicht ändern können?

Ich kann sagen, was bei mir passiert ist: Ich habe als Kind gemerkt, dass es sich selten um mich dreht, dass ich versuchen kann, mir sehr deutlich Gehör zu verschaffen und ich einfach ignoriert werde. Ich fühlte mich mit den Massen an Aufgaben und Pflichten, die mir Schule und Familie auferlegten überfordert und fand dabei aber keine Hilfe und Entlastung. Ich fühlte mich so ungeschützt, dass es mir als überlebensnotwendig erschien, Aufgaben möglichst gut zu erfüllen.

Mir geht es in diesen Beitrag darum, mit welchem psychologischen Mechanismus ich den Konflikt zwischen meinem Innenleben und der Außenwelt schlichtete. Die Option des Äußerns von Bedürfnissen und Ändern von Situationen fiel für mich oft flach. Blieb mir nur noch die Option, mich innerlich anzupassen.

Aber was macht man, wenn man eine Situation drehen und wenden kann, wie man will und sie dadurch einfach nicht gut wird? Man gibt sich so viel Mühe, brav zu sein und alles richtig zu machen, aber die Situation steht immer noch in absoluten Kontrast zu den eigenen Bedürfnissen. Oder man rebelliert und es ändert sich doch nichts. Egal wie man es betrachtet, es schadet einem eigentlich nur und man fühlt sich tot unglücklich damit.

Es ist einfach unerträglich, konstant in unguten, ja schädlichen Situationen zu bleiben. Niemand kann es aushalten, die Wut und die Trauer und das Unwohlsein auf Dauer zu ertragen. Man will diese Gefühle irgendwie loswerden. Schließlich deuten sie ja auch auf einen Missstand hin. Eigentlich will man diesen Missstand beheben. Aber wenn er sich nicht ändern lässt, dann sind es irgendwann die Gefühle, die man ändern möchte. Wut und Traurigkeit sind keine hilfreichen Signale mehr dafür, dass irgendwas nicht stimmt und man es ändern sollte. Weil das einzige, worauf man Zugriff hat, die eigenen Gefühle sind und man nicht dauernd negative Gefühle ertragen kann, fängt man an sie zu manipulieren. Innerlich windet man sich, bastelt so lange an seinen Gedanken herum, bis das vielleicht irgendwie stimmig wird und man seine Gefühle ertragen kann. Oder man sucht sich Ersatzhandlungen, die einem das Gefühl geben, man würde doch etwas an der Situation ändern.

Bei mir hat das dazu geführt, dass ich in meinem Leben ganz oft dachte, mit mir stimme etwas nicht, wenn ich traurig oder wütend sei. Also an der Situation kann es ja nicht liegen. An der Situation darf es nicht liegen, weil ich die einfach nicht ändern kann, ich aber die Gefühle auch nicht ertragen kann. Dann muss ja irgendetwas mit mir nicht stimmen. Dann muss ich mich ändern. So denke ich extrem viel über mich nach, warum ich mich wie fühle und mache mir Vorwürfe, warum ich nicht einfach mal zufrieden sein kann.

So habe ich dann auch gelernt, mich einfach in Aufgaben zu fügen, die man mir gibt, ohne zu fragen, ob ich das überhaupt machen mag. Ich habe eine Art Stolz daraus gezogen, wie gut ich solche Aufgaben erledigen kann. Je mehr Überwindung etwas kostet, desto größer ist meine Leistung. Das heißt, je weniger etwas meinen Bedürfnissen entspricht, desto mehr kann ich beweisen, wie viel Kontrolle ich über meine Gefühle habe. Das ist eine Ersatzmacht geworden. Weil ich die Situation selten entsprechend meiner Gefühle ändern konnte und dabei Wirksamkeit erfahren konnte, habe ich gelernt, mich wirksam zu fühlen, indem ich mich selbst manipuliere.

Boar krass, die Situation ist total scheiße, aber ich, ich bin der Hammer, ich schaffe es, sie durchzuziehen. Guck mal, was ich mit meinen Gefühlen machen kann! Ich fühle einfach, was ich mir vornehme, zu fühlen. Ich kann mich zu den blödsinnigsten Dingen motivieren, einfach, weil ich das will. Und guck mal, ich kann dann alles machen, was die Situation erfordert, und zwar am besten noch besser als andere!

Es ist klar, dass das nirgendwo hinführen kann. Außer man sucht sich immer wieder Situationen, in denen irgendjemand einem sagt, wann man was wie tun soll.

Ach so, Moment, das ist ja doch ziemlich gefragt, dass jemand im Job einfach unter den beschissensten Bedingungen noch volle Leistung bringt.

Na, dann wurde ich doch gut auf diese Welt vorbereitet und der Text kann hier enden.

Scheiße, nein!

Uns wird immer gesagt, dass wir nur als Kind ohnmächtig und abhängig waren. Heute können wir ja Situationen ändern oder sie verlassen. Man kann umziehen, den Partner verlassen, den Job wechseln, sich neue Freunde suchen oder ein neues Hobby. Wir sind frei, schließlich leben wir ja nicht in Russland oder China.

Aber auch als Erwachsene fühlte ich mich unwohl, traurig oder wütend. Wieder dachte ich, dass das an mir liegen müsse, denn ich bin frei und wenn eine Situation nicht so ist, wie ich sie gerne hätte, dann bin ich selbst daran schuld, wenn sich nichts ändert. Wenn ich also die Situationen ändere, meine Wohnung, meinen Job, meine Freunde wechsele und ich mich immer noch traurig oder wütend fühle, dann muss wohl mal wieder was an mir nicht richtig sein.

Oder?

Was wäre, wenn ich mal meine Gefühle ernst nehme? Sagen sie mir dann nicht einfach, dass die Änderungen, die ich vorgenommen habe, einfach nicht diejenigen waren, die mein Unbehagen auflösen?

Es waren nur die Änderungen, die sich in der Welt, in der wir leben, leicht machen lassen.

Wenn mir das eine Gemüse nicht schmeckt, dann kaufe ich eben ein anderes. Das ist leicht zu machen. Was aber ist, wenn ich gar keinen Bock habe, mein Gemüse im Supermarkt zu kaufen? Wenn mir bei der einen Wohnung nicht gefällt, dass sie im dritten Stock liegt, dann ziehe ich eben in eine Wohnung im Erdgeschoss um. Was ist, wenn ich aber gar nicht in einer Wohnung wohnen will? Dann kann ich ja in ein Haus ziehen. Soll doch das Volk Kuchen essen, wenn es kein Brot hat.

Tatsache ist, dass wir Wahlfreiheit innerhalb eines bestimmten Rahmens haben, den unser gesellschaftliches Zusammenleben und unsere Art zu wirtschaften vorgeben. Wenn jemand einen anderen Job will, gibt es Möglichkeiten, das in die Wege zu leiten, auch wenn das schon oft schwer genug ist. Aber wenn irgendwer lieber anders tätig sein würde und lieber anders seinen Lebensunterhalt als durch Lohnarbeit verdienen würde, dann gibt es auf einmal ganz wenige Optionen. Auswandern könnte man ja noch. Aber wo hat der Kapitalismus noch nicht mit seinen dreckigen Fingern hin gegrapscht?

Und so komme ich zu dem sehr unangenehmen Schluss, dass meine Gefühle vielleicht nicht darauf hinweisen, dass ich plemplem bin, sondern sie mein Unbehagen mit der Situation ausdrücken. Und zwar nicht mit Dingen, die ich als Einzelperson vielleicht noch geändert bekomme. Sondern mir kommt der Verdacht, dass Dinge in mir Unbehagen auslösen, die die gesamtgesellschaftlichen Strukturen betreffen. Und vor denen habe ich mich so hilflos gefühlt, dass ich auf meine alte Strategie zurückgegriffen habe, mich versuchen anzupassen und meine Gefühle zu manipulieren. Dabei habe mich gefragt, warum ich denn nicht einfach mal glücklich sein kann, was denn nun schon wieder bei mir falsch sei, ich könnte doch jetzt einfach mal zufrieden sein.

So war es mir lieber zu denken, ich sei eben depressiv und das läge an meiner Kindheit, die ich nur mal verarbeiten müsste, dann ginge es mir heute auch gut. Den Gedanken, dass unsere Kultur irgendwie Unbehagen in mir auslöst und ich das nicht dadurch ändern kann, dass ich meine Wohnung und meinen Job wechsele, wollte ich lieber nicht wahrhaben.

Denn das ist ein erschreckend großes Problem.

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